Ist Winnetou so brutal wie Rocky?

Die Arbeit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK)

Vorbemerkung
"Ist Winnetou so brutal wie Rocky? So unsinnig sind Altersfreigaben der FSK." Dies stand in der Sonntagszeitung mit den großen Buchstaben am 18. Februar 2007. Weiterhin heißt es: "Was haben der aktuelle Kinofilm ROCKY BALBOA und der Winnetou Klassiker UNTER GEIERN gemeinsam? Beide sind von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft ab 12 Jahren freigeben". Danach folgt ein Zitat von mir, in dem ich auf die Diskussionen in den Ausschüssen der FSK hinweise: "Ein absolut objektives Urteil können wir nicht fällen." Kommentar der Zeitung: "Das ist problematisch, denn 77% der Eltern orientieren sich bei der Auswahl eines Kinofilms an der FSK-Freigabe."

Also, geharnischte Kritik an den Altersfreigaben, wobei nicht explizit erwähnt wird, dass ROCKY BALBOA im Jahre 2007 geprüft wurde und WINNETOU - UNTER GEIERN im Jahre 1964.

Ist dieser Artikel ein Spiegelbild der öffentlichen Meinung über die FSK? Der Fairness halber muss ich sagen, dass der Artikel sich in seinem weiteren  Verlauf positiv mit der Arbeit der FSK auseinandersetzt. Aber wie es im Leben so ist, die Balkenüberschriften erzeugen die Aufmerksamkeit und bestimmen die Diskussion. Richtig ist sicherlich, dass die FSK - und ich schließe alle Selbstkontrollen hier mit ein - selten Lob erhalten. Viel öfter wird Kritik geübt, der Jugendmedienschutz sei viel zu  lasch, oder er orientiere sich nicht an den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, er treibe Zensur und im übrigen säßen in den Gremien sowieso Leute, die von dem Medium, welches sie zu beurteilen haben, nichts verstünden.

Voraussetzungen
Bei dieser Kritik wird aber eines deutlich: Jugendmedienschutz ist in der Öffentlichkeit und auch in der Politik ein Thema. Das ist gut so. Jugendschutz ist Grenzziehung und Orientierung zugleich. Welche Grenzziehung erforderlich ist, um Orientierung zu geben, ist eine Gratwanderung, die immer neu in jeder Einzelentscheidung fällt. Dabei ist es gut, Kenntnis davon zu haben, wer unter welchen Bedingungen welche Entscheidungen fällt. Hier ist ein zentraler Punkt angesprochen, der den Jugendmedienschutz und insbesondere auch die Arbeit in der FSK bestimmt: Transparenz. Nicht jeder kann mit jeder Entscheidung einverstanden sein, wichtig ist es aber, dass die Institutionen, die die Entscheidungen fällen, ihre Arbeit transparent gestalten. Für Selbstkontrollen eine Überlebensfrage.

Die FSK kombiniert die Selbstkontrolle mit staatlicher Aufsicht. Sie ist ein "Public-Private-Partnership-Modell". Nach dem Jugendschutzgesetz sind die Obersten Landesjugendbehörden für die Freigaben von Kinofilmen und anderen Trägermedien zuständig. Sie bedienen sich dabei auf der Grundlage einer Ländervereinbarung der Gutachten der FSK. Die Organisation der Prüfung wird von der Filmwirtschaft durchgeführt, die Filmprüfungen werden von der Grundsatzkommission begleitet, in der neben der Film- und Videowirtschaft u.a. die Kirchen, Jugendverbände, Vertreter von Ministerien, Landesmedienanstalten, die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sowie die Obersten Landesbehörden vertreten sind. Die Prüfausschüsse selbst werden proportional zur Grundsatzkommission besetzt, wobei den Vorsitz im Prüfungsausschuss der Ständige Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden hat, durch dessen Unterschrift auf der Freigabekarte das gutachterliche Votum zu einem Verwaltungsakt der Länder wird. Dies ist eine Form der Selbstkontrolle, die wirtschaftliche Interessen und staatliche Aufsicht kombiniert. Der Vorteil für die Wirtschaft liegt auf der Hand. Die Verleiher brauchen nicht lange auf die Ergebnisse zu warten, da die Prüfungen nach den Bedürfnissen des Marktes stattfinden. Prüfungsverfahren werden schnell organisiert. Für die behördliche Seite liegt der Vorteil darin, dass die FSK die Freigaben für alle Bundesländer organisiert und keine eigenen aufwendigen staatlichen Prüfungen durchführen muss.

Zu betonen ist, dass diese Freigaben keine pädagogischen Empfehlungen sind, sondern sicherstellen sollen, dass keine beeinträchtigenden Wirkungen Kinder und Jugendliche einer bestimmten Altersstufe durch das Anschauen eines Filmes erfahren. Durch die Anbindung der FSK-Freigaben an den Jugendmedienschutzstaatsvertrag werden Filme, die im Fernsehen ausgestrahlt werden, an Sendezeiten gekoppelt. Filme die ab 16 Jahren freigegeben sind, dürfen erst nach 22:00 Uhr, Filme mit der Kennzeichnung "Keine Jugendfreigabe" erst nach 23:00 Uhr gesendet werden. Filme mit der Alterskennzeichnung ab 12 Jahren sind so zu platzieren, dass den Belangen hinsichtlich des Schutzes auch jüngerer Kinder Rechnung getragen wird.

Praxis
Die konkrete Arbeit sieht so aus, dass täglich in mindestens 4 Parallel-Arbeitsausschüssen von 09:00 bis ca. 14:30/15:00 Uhr geprüft wird. Der Arbeitsausschuss setzt sich zusammen aus 5 Personen, wobei 2 von der Film- oder Videowirtschaft benannt sind, die nicht hauptberuflich in diesem Wirtschaftszweig arbeiten dürfen, 1 Prüfer der öffentlichen Hand, das sind Vertreter des Bundesjugendrings, der Kirchen, des Zentralrats der Juden, des Bundesjugendministeriums, und 1 Jugendschutzsachverständiger der Obersten Landesjugendbehörden. Der Jugendschutzsachverständige hat die Aufgabe, das Protokoll der Diskussion zu führen. Den Vorsitz hat der Ständige Vertreter. Es gibt 3 hauptamtliche Ständige Vertreter. Alle anderen Vorsitzenden, ca. 40, sind ehrenamtlich in dieser Funktion tätig. Täglich werden ca. 3 Spielfilme in einem Arbeitsausschuss geprüft, wobei nach der vollständigen Sichtung des Films der Ständige Vertreter in die Diskussion einführt. Dann wird über die Freigabe diskutiert, es erfolgt die Abstimmung mit einfacher Mehrheit. Eine Diskussion kann je nach Intensität des gesehenen Filmes zwischen 20 und 45 min. dauern. Die längste Diskussion, die ich in den letzten Jahren mitgemacht habe, dauerte 2 Stunden: DIE LETZTE PASSION CHRISTI von Mel Gibson.

Die überstimmte Minderheit des Arbeitsausschusses, das sind 2 Kollegen, oder auch die antragstellende Firma kann Berufung gegen die Entscheidung des Arbeitsausschusses einlegen, die zum Hauptausschuss führt. Hier sind 7 andere Kolleginnen und Kollegen tätig, die ebenfalls wieder analog zum Arbeitsausschuss besetzt werden, 4 von der öffentlichen Hand und 3 von der Filmwirtschaft.

Bei ca. 1.800 Spielfilmneuprüfungen pro Jahr, damit liegt Deutschland in Europa zusammen mit Großbritannien an der Spitze der Spielfilmneuerscheinungen, wobei über 2/3 davon DVD- oder Video-Premieren sind, finden ca. 50 Hauptausschusssitzungen im Jahr statt. Die Zahl belegt, dass die Akzeptanz der Arbeitsausschussentscheidungen sehr groß ist. Die letzte Instanz ist das Appellationsverfahren der Länder. Filme, die in der Öffentlichkeit besonders kontrovers diskutiert wurden, werden in diesem Verfahren auf Antrag eines Bundeslandes nochmals geprüft. Dieses ist ausschließlich mit Vertretern der Bundesländer besetzt und besteht aus 7 Personen. Das gleiche Recht zur Appellation haben die Spitzenverbände der Film- und Videowirtschaft. Nach dieser Entscheidung ist eine weitere Berufung nicht mehr möglich.

Transparenz
Zurück zum Stichwort Transparenz. Jede ernstzunehmende Anfrage wird von uns individuell beantwortet. Jede Mutter, jeder Vater, die mit ihrem Kind im Kino waren und die Altersfreigabe nicht nachvollziehen können, erhalten eine schriftliche Erläuterung, nach welchen Kriterien diese Altersfreigabe zu Stande gekommen ist. Die FSK ist ein "offenes Haus". Es sind sehr oft Schulklassen oder Jugendgruppen zu Gast. Es wird gemeinsam ein Film angeschaut und diskutiert, der auch im Ausschuss kontrovers beurteilt wurde, wobei die Kinder zum Teil strenger sind als wir. Diese Arbeit ist für eine Selbstkontrolle unerlässlich. Entscheidungen können nicht nur nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, ob es Jugendpsychologie oder Medienwirkungsforschung ist, getroffen werden, sondern es ist wichtig, die Lebenswelten und -ansichten von Kindern und Jugendlichen zu kennen. Hierbei verweise ich auch auf unser Medienkompetenzprojekt, das die FSK mit der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz und den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg organisiert hat und in dem wir mit über 1.000 Kindern und Jugendlichen Filmdiskussionsveranstaltungen durchgeführt haben. Seit Oktober 2010 werden Kurzbegründungen für die Freigaben von Kinospielfilmen auf die FSK-Homepage gestellt, die insbesondere als Information für die Eltern gedacht sind.

Die ca. 270 ehrenamtlichen Prüferinnen und Prüfer kommen zu einem großen Teil aus der pädagogischen  Arbeit, d.h. sie sind keine professionellen Filmkritiker. Dies würde dem plural zusammengesetzten Charakter der FSK-Ausschüsse widersprechen. Die Ausschüsse, die sich sowohl altersmäßig als auch herkunftsmäßig heterogen zusammensetzen, sollen ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Realität darstellen. Dies ist wichtig für die Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Unumstößliche Kriterien für bestimmte Freigaben gibt es nicht. Es gibt aber selbstverständlich Leitlinien, Ansatzpunkte, die für eine bestimmte Altersstufe sprechen.

Sexualität ist beispielsweise kein vordringliches Problem der FSK-Arbeit. Allerdings beschäftigt dieses Thema die Ausschüsse durch die Wiedervorlagen deutscher Erotikfilme aus den 70er-Jahren zur Zeit immer wieder. Diese Produktionen mögen zwar aufgrund ihrer Gestaltung, Ausstattung und Figurenführung antiquiert wirken, ihre inhaltliche Aussage kann dennoch auch heute noch beeinträchtigende Wirkungen auf Jugendliche haben. Wie wird Homosexualität im Film gezeigt, welche Geschlechterrollen werden angeboten? Das sind Themen, die die heutigen Ausschüsse kritisch reflektieren - und nicht nackte Körper.

Das vordringlichste Problem ist die Darstellung von Gewalt und ihre mögliche Wirkung. Kein ernst zu nehmender Jugendschutzsachverständiger spricht von einem schlichten Ursache/Wirkungs-Zusammenhang. Medienrezeption ist ein komplexes Geschehen, bei dem zahlreiche Faktoren eine Rolle spielen. Insbesondere Alter, Geschlecht, Lebens- und Wertvorstellungen sowie das soziale Umfeld bestimmen die mögliche Wirkung eines Filmes.
Die verschiedenen Wirkungstheorien nehmen alle ein Wirkungsrisiko an. Es müssen deshalb Grenzen gezogen werden, die Angebote für Erwachsene von denen für Kinder und Jugendliche unterscheiden. Junge Menschen heute sind zwar mediensozialisierter als die Generationen vor Ihnen. Die vorhandene technische Kompetenz darf aber nicht davon ablenken, dass noch kein stabiles emotionales und moralisches Wertebewusstsein vorhanden ist, das Jugendliche gegen beeinträchtigende und gefährdende Angebot immun macht. Jugendschutz ist ein Instrument sozialer Verantwortung und Teil der Diskussion über Werte und Ziele, die im gesellschaftlichen Diskurs entstanden sind. Medien haben eine positiv wie negativ unterstützende Funktion. Sie ist negativ, wenn die kindlichen und jugendlichen Rezipienten sozial nicht eingebunden sind. Die fehlende oder mangelnde soziale und emotionale Bindung kann dazu führen, dass Medieninhalte Vorstellungen und Bilder produzieren, die einen hochproblematischen Stellenwert im Bewusstsein junger Menschen haben. Dabei ist die geschlechtsspezifische Rezeption unterschiedlich. Während Mädchen sich eher von der gezeigten Gewalt distanzieren, indem sie schlicht ihre Abneigung gegenüber zu deutlichen Darstellungen verbalisieren, versuchen Jungen, ihren vermeintlichen Rollen gerecht zu werden und reagieren teilweise mit gespielter Coolness. Problematisch wird dieses Verhalten, wenn es zur emotionalen Abstumpfung führt. Können junge Menschen einer bestimmten Altersstufe Gewaltinszenierungen emotional verkraften? Welche Einstellung zur Gewalt wird durch diese Darstellungen vermittelt? Dies sind 2 zentrale Fragen, die gerade bei Mainstream-Filmen, die junge Menschen als Zielgruppe im Blick haben, immer neu zu stellen und zu entscheiden sind, und dies ist nicht einfach.
 
Probleme
Läuft alles in der täglichen Arbeit der FSK problemlos? Es gibt keine Institution des Jugendmedienschutzes, die nicht verbesserungswürdig ist. Drei Punkte möchte ich ansprechen.

1. Die durch die Novellierung des Jugendschutzgesetzes im Jahre 2003 hinzugekommene neue Aufgabe für die Prüfausschüsse bei der Vergabe der Kennzeichnung "Keine Jugendfreigabe", zwischen Jugendbeeinträchtigung und Jugendgefährdung zu differenzieren, ist schwierig. Kinofilme werden dabei nach den Kriterien der schweren Jugendgefährdung geprüft, andere Trägermedien nach den  Kriterien der sogenannten einfachen Jugendgefährdung. Wird dies in den Ausschüssen der FSK für ein Produkt bejaht, so erfolgt nicht die Kennzeichnung "Keine Jugendfreigabe", sondern es erfolgt eben "Keine Kennzeichnung".

2. Ein zweiter Punkt ist die immer wieder diskutierte Frage: Stimmen die Alterseinstufungen der FSK mit dem Entwicklungsstand heutiger Kinder und Jugendlicher noch überein? Eine Diskussion, die ich seit 20 Jahren führe. Bereits im Jahre 1989 habe ich andere Alterseinstufungen vorgeschlagen, 0, 10, 14 und 18 Jahre. Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass es wichtigere Probleme im Jugendmedienschutz gibt, als andere Alterskohortierungen, die sowieso letztlich nicht stimmig ausfallen können.

3. Der dritte Punkt ist die sogenannte PG-Regelung (Parental Guidance), d.h. die Möglichkeit, dass bei Filmen, die ab 12 Jahren freigegeben sind, Personensorgeberechtigte, in der Regel also Eltern, mit ihren Kindern zwischen 6 und 11 Jahren gemeinsam Filme ab 12 anschauen können. Grundsätzlich halte ich diese Möglichkeit für sinnvoll, verhehle aber nicht, dass es sehr unterschiedliche Meinungen dazu gibt.
Eine Alternative zur bestehenden Regelung könnte sein, Filme, die zwischen 12 und 16 Jahren diskutiert wurden und ab 12 freigegeben wurden, nicht mit dieser PG-Regelung zu versehen und 12er-Filme, bei denen zwischen 6 und 12 diskutiert wurde, mit einer 12 PG zu kennzeichnen. Dies hätte u.a. den Charme, dass die immer wieder diskutierte Frage der Programmierung von 12er Filmen im Fernseh-Tagesprogramm dahingehend entschieden werden könnte, dass nur Filme mit 12 PG tagsüber gezeigt werden können, Filme ohne diese Regelung erst im Hauptabendprogramm.

Schlussbeurteilung
Medien gehören zum Alltag von Kindern und Jugendlichen. Sie sind Teil ihrer Kultur. Es ist nicht Aufgabe der FSK, Medien Kindern und Jugendlichen pauschal zu verbieten sondern sie ihnen - in altersgemäßer Weise - zugänglich zu machen. Die FSK ist dabei keine bewahrpädagogische Institution, sie biedert sich aber auch nicht einem laisser faire-Zeitgeist an. Die plural zusammengesetzten Ausschüsse, in denen jeder Film auf seine mögliche Wirkung hin diskutiert wird, bieten weitgehend Gewähr für nachvollziehbare Entscheidungen. Transparenz und Akzeptanz sind dabei die Eckpunkte der Arbeit. Dass dies aber auch bei der FSK nicht immer parallel läuft, zeigt ein E-Mail Wechsel mit einem Vater, der sich über die Freigabe eines Films ab 12 Jahren beschwerte. Ich legte ihm die Gründe für die Freigabe dar. Er mailte zurück: "Ich bedanke mich für Ihre ausführliche Begründung. Ich halte sie zwar immer noch für grundfalsch - aber ich weiß jetzt wenigstens warum!"

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